Prof. Dr. Patrick Gödicke RiOLG, Frankfurt a.M./Karlsruhe
Maßgebliches Fachgebiet bei Beteiligung mehrerer Facharztabteilungen
Wie aber mit Situationen umgehen, in denen unterschiedliche Fachgebiete aneinander stoßen, der medizinische Sachverhalt aber – wie nicht selten – mit einer Priorisierung einhergeht?
Der Fall :
Der neonatologisch versorgte Kl., einem extrem Frühgeborenen mit einem Geburtsgewicht von 1.380g, behauptet, dass bei Zustand nach Säuglingscoxitis an der linken Hüfte bei ihm eine Pseudarthrose ausgebildet habe und der Hüftkopf stark deformiert sei. Die Behandlung durch die Bekl. sei behandlungsfehlerhaft gewesen. Die zuvor empfohlene sonographische Kontrolluntersuchung des linken Oberschenkels sei ausgeblieben.
Außerdem liege ein Hygienefehler vor, da die behandelnde Person bei Legen eines Zugangs oder einer Blutabnahme zumindest einmal die Handschuhe ausgezogen habe. Die pädiatrische Behandlung sei nicht mit der gebotenen ärztlichen Sorgfalt erfolgt.
Gegen das stattgebende Urteil des Landgerichts wendet sich die Bekl. u.a. damit, dass bei dem Kl. infolge einer Staphylococcus-Sepsis eine schwerste Erkrankung aufgetreten und im Rahmen dieser Erkrankung die über die allgemeine Ödemneigung hinausgehende Schwellung des linken Beins klinisch nicht so weit im Vordergrund gestanden, dass über die einmalige sonographische Untersuchung hinaus weitere Diagnostik angestrebt worden sei. Im Jahr 2014 hätten keine Standards für die streitgegenständliche Behandlung bestanden. Insoweit sei mit der Beauftragung eines kinderorthopädischen Sachverständigen auch ein Verstoß des Landgerichts gegen den Grundsatz der fachgleichen Beurteilung zu konstatieren, nachdem vorliegend eine kinderchirurgische Behandlung stattgefunden habe. Es bestünden zudem erhebliche Zweifel, ob der Sachverständige überhaupt über eine hinreichende Fachkompetenz und Expertise in der Behandlung von Frühgeborenen, insb. mittels Punktion des Hüftgelenks, verfüge.
Die Entscheidung des Gerichts:
Aus Sicht des OLG war dem Landgericht der gerügte Verstoß gegen den Grundsatz der fachgleichen Beurteilung nicht zur Last zu legen. Prinzipiell sei bei der Auswahl auf die Sachkunde in demjenigen medizinischen Fachgebiet abzustellen, in das die Behandlung fällt. Dafür könnten die fachärztlichen Weiterbildungsordnungen herangezogen werden. Soweit eine Behandlung mehrere Fachbereiche berühre, kommt es darauf an, welchem Fachbereich die konkrete Beweisfrage zuzuordnen ist.
Der Kl. sei auf der Kinderintensivstation der Bekl. behandelt, der abschließende Arztbrief entsprechend vom Chefarzt der Fachabteilung für Kinder- und Jugendmedizin, Neonatologie und pädiatrischen Intensivmedizin unterzeichnet worden. Richtig sei zwar, dass im Zuge der Behandlung der entstandenen Sepsis die pädiatrischen Intensivmediziner die Befunde mit der Kinderchirurgie besprochen hätten. Es liege aber gleichwohl keine Behandlung vor, die ausschließlich von einem Kinderchirurgen zu beurteilen ist: „Eine über die reine Antibiose hinausgehende echte chirurgische Behandlung ist nicht erfolgt. Die Bewertung der Hüftgelenksinfektion eines Neugeborenen und ihre Behandlung stellt nach Angabe des Sachverständigen vielmehr ‚ein Gemeinschaftsprodukt‘ dar, bei dem Intensivmediziner, Kinderärzte, Kinderorthopäden und Kinderchirurgen eine Rolle spielen. Zu der Entscheidung über eine Punktion und Behandlung sind die Kinderorthopäden nach Angabe des Sachverständigen in gleicher Weise berufen wie die Kinderchirurgen.“
Unter diesen Umständen sei die Auswahl eines Kinderorthopäden als Sachverständigen nicht ermessensfehlerhaft: „Der Sachverständige hat im Senatstermin nochmals bekräftigt, dass er die konkrete Behandlungssituation aus seiner fachlichen Sicht beurteilen kann. Der vorzunehmende Eingriff ist typisch für einen Kinderorthopäden. Indikationsstellung und Durchführung des Eingriffs können ebenso durch einen Kinderorthopäden erfolgen wie durch einen Kinderchirurgen. Die Beantwortung der in Rede stehenden maßgeblichen Beweisfragen, inwieweit zum Ausschluss einer Hüftentzündung eine bildgebende Diagnostik angezeigt war, welche Behandlung sodann zu erfolgen hatte sowie ob die unterlassene Befunderhebung kausal für die Beschwerden geworden ist, fällt - wie der Kl. zutreffend anführt - damit zumindest auch in das Fachgebiet eines Kinderorthopäden. Es geht insoweit gerade nicht um die Beurteilung eines rein chirurgischen Eingriffs. Insoweit hat auch der pädiatrische MDK Gutachter T die bakterielle Arthritis als ‚orthopädischen Notfall‘ bezeichnet, der sofortiger chirurgischer Intervention bedarf“.
Das Landgericht habe zudem vor Einholung des Gutachtens und Bestellung des Sachverständigen den Parteien extra eine Liste der ÄKWL übermittelt, die Sachverständige aus verschiedenen Fachgebieten enthalten habe. Darauf habe die Bekl. ausdrücklich mitgeteilt, dass keine Bedenken gegen die vorgeschlagenen Sachverständigen bestünden und die Auswahl dem Landgericht überlassen.
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