Prof. Dr. Patrick Gödicke RiOLG, Frankfurt a.M./Karlsruhe

Behandlungspflicht und Standard - Pflichtverletzung und körperliche Auswirkung

Messlatte jedes Behandlungsfehlers ist der medizinische Standard. Wann aber schlägt er sich auch als (konkrete) Behandlungspflicht nieder, wann bleibt dem Arzt ein (justiziabler) Spielraum und wann bewegen sich Abweichungen noch außerhalb eines haftungsrelevanten Pflichtenfelds? Hierzu äußern sich, in unterschiedlich gelagerten Konstellationen, die folgenden Entscheidungen.

 

Noch wieder auszurichten ist das Haftungssystem in Fällen, in denen eine etwaige Pflichtverletzung gar keinen körperlichen Schaden, sondern lediglich eine ästhetische Beeinträchtigung hervorrufen kann. Im zahnprothetischen Behandlungsbereich lassen sich hierfür freilich dann ggf. die Maßstäbe des Werkvertragsrechts heranziehen.

Der Fall:


Mit ihrer Klage rügt die Kl. eine Farbabweichung ihrer zahnprothetischen Versorgung. Körperliche Auswirkungen im Übrigen schloss das Gericht aus.

Die Entscheidung des Gerichts:


1. Das Gericht stellt zunächst klar, dass es sich zur Zuerkennung von Schadensersatzansprüchen aufgrund Behandlungsfehlers von vornherein - im Streitfall plausibel, in Fällen kosmetischer Operationen hingegen potentiell komplizierte Abgrenzungsfragen aufwerfend - außerstande sieht: „Die Zuerkennung eines Schmerzensgeldanspruchs, der seine Grundlage in §§ 280 Abs. 1, 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB hat, setzt einen schadensersatzrechtlich relevanten Pflichtverstoß und damit ein dem Bekl. zu 1 individuell vorwerfbares Fehlverhalten voraus, das zu einer Körper- oder Gesundheitsschädigung bei der Kl. geführt hat […]. Eine solche Schädigung liegt hier aber nicht vor, denn selbst wenn die bei der Kl. eingegliederten Keramikkronen entsprechend ihrer Behauptung eine nicht ihren Vorgaben entsprechende Farbgestaltung gehabt hätten, läge hierin allenfalls eine optische Beeinträchtigung in Form eines ästhetischen Mangels, aber keine relevante Körper- oder Gesundheitsschädigung, so dass die Zuerkennung eines Schmerzensgeldes nicht gerechtfertigt wäre. Hinzu kommt, dass die Kl. nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme eine dem Bekl. zu 1 anzulastende Farbabweichung nicht bewiesen hat und diese zudem nicht mit hinreichender Sicherheit auf ein mangelhaftes Vorgehen der Bekl. zurückzuführen ist.“


2. Als alleinige Möglichkeit verblieben aus Sicht des OLG daher werkvertragliche Ansprüche, dies es im Ergebnis jedoch ebenfalls verneinte.

a) Das OLG rekapituliert zunächst die nur ausnahmsweise bestehende Einschlägigkeit des Werkvertragsrechts: „Im vorliegenden Fall sind im Rahmen der ärztlichen Behandlung ausnahmsweise werkvertragliche Vorschriften anzuwenden, da um die technische Beschaffenheit des Zahnersatzes gestritten wird. Zwar untersteht auch das auf eine zahnprothetische Behandlung gerichtete Vertragsverhältnis zwischen den Parteien grundsätzlich dem Dienstvertragsrecht. Die Fertigung und das Einpassen von Zahnkronen und -brücken sind als Dienstleistungen höherer Art i.S.v. § 627 BGB anzusehen und damit Gegenstand der einheitlichen Leistung ‚Zahnbehandlung‘ oder ‚Zahnversorgung‘. Der Zahnarzt schuldet dabei nicht den Erfolg seiner ärztlichen Bemühungen. Anderes gilt lediglich insoweit, als es um rein zahnlabortechnische Verarbeitungsfehler geht. Da diesbezüglich eine spezifisch zahnärztliche Heilbehandlung nicht vorliegt, gilt das werkvertragliche Gewährleistungsrecht […]. Im Zusammenhang mit der von dem Bekl. zu 1 vorgenommen Gebisssanierung ist auch eine technische Anfertigung des Zahnersatzes geschuldet, für die der Bekl. zu 1 nach werkvertraglichen Gewährleistungsvorschriften einzustehen hat. Die Kl. rügt im Berufungsverfahren nicht (mehr) die Gestaltung und Ausführung nebst Einpassung der Kronen, sondern allein die vom Labor durchgeführte ausschließlich technische Ausführung des Zahnersatzes unter Abweichung ihrer Vorgaben zur Farbgestaltung der Keramikkronen im Oberkiefer.


b) Als maßgeblichen Bezugspunkt für die festgelegte Zahnfarbe hat das OLG sodann die Behandlungsdokumentation betrachtet. Den Beweis, dass die im Oberkiefer verwendete Zahnfarbe nicht entsprechend ihrer Vorgaben ausgeführt worden sei, habe die Kl. jedoch nicht geführt. Aufgrund des übereinstimmenden Vortrags beider Parteien und aufgrund des Schriftwechsels sei vielmehr davon auszugehen, dass die Kl. anlässlich des Labortermins die Zahnfarbe A1 für die Ausführung der Kronen gewählt habe, was die Zeugen auch bestätigt hätten. Die Kl. habe lediglich bei der ersten Probe am 25.02.2014 noch kleinere Änderungswünsche geäußert, denen sie dann in der Folge auch nachgekommen sei, ohne jedoch am Grundfarbton, den sie - wie gewünscht - in A1 ausgeführt habe, noch etwas geändert zu haben. Den Änderungswünschen der Kl. sei nachgekommen worden, dabei habe es sich aber nur um Nuancen gehandelt; den Grundfarbton habe sie damit nicht ändern können. Die Zeugin hat weiter bekundet, dass die Kl. mit dem Ergebnis der von ihr vorgenommenen Änderungen auch zufrieden gewesen sei. Im Übrigen werde die Zufriedenheit der Kl. mit der farblichen Ausführung des Zahnersatzes auch durch die Behandlungsdokumentation des Bekl. belegt, in der vermerkt sei: „Pat. mit OK Farbe und Zahnform sehr zufrieden (nach RS mit Mann), ausführliche Besprechung und Begutachtung (Pat, Mann, M... KS)“.
 

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01.12.2022

Informationen

OLG Dresden
Urteil/Beschluss vom 11.11.2021
Aktenzeichen: 4 U 1122/20

Fachlich verantwortlich

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