Prof. Dr. Patrick Gödicke RiOLG, Frankfurt a.M./Karlsruhe

Corona-Impfung bei Minderjährigen

Dauerbrenner (nahezu) jeden Arzthaftungsprozesses, hat die Rspr. mittlerweile bereits eine Reihe von Entscheidungen zur Einwilligungszuständigkeit bei Corona-Impfungen hervorgebracht – die sich freilich auf familienrechtliche Fallgestaltungen beschränken. Auf einen Arzthaftungsprozess, der auf die Unwirksamkeit der Einwilligung gestützt wird, wird man demgegenüber warten müssen. Angesichts der millionenfachen Verabreichung auch bei Kindern und Jugendlichen werden sie freilich nicht ausbleiben, und umso bemerkenswerter liest man die familiengerichtlichen Rspr. im Hinblick auf ihren Umgang mit der die Entscheidungskompetenz der Minderjährigen selbst.

c)    Co-Konsens I (16-Jähriger)

Der Fall:

Die voneinander geschiedenen Eltern, welche das gemeinsame Sorgerecht für ihren am XX.XX.2005 geborenen Sohn A ausüben, streiten darüber, ob ihr gemeinsamer Sohn gegen das Corona Virus SARS-CoV-2 geimpft werden soll. Eine zunächst für den 10.06.2021 bei der Hausärztin des Kindes geplante Impfung musste abgesagt werden, nachdem die Beschwerdeführerin der Ärztin mitgeteilt hatte, mit der Impfung nicht einverstanden zu sein. Das Kind lebt überwiegend im Haushalt der Beschwerdeführerin. Der Antragsteller und Kindesvater befürwortet dagegen die Impfung des gemeinsamen Sohnes.

Mit Schreiben vom 10.06.2021 hat der Kindesvater beantragt, im Wege einer Eilentscheidung ihm die alleinige Befugnis zur Entscheidung über die Impfung seines Sohnes zu übertragen. Er hat zu seinem Antrag eine ärztliche Bescheinigung der Hausärztin Frau B vom 14.06.2021 beigefügt, nach der bei A eine eindeutige medizinische Indikation für eine Impfung mit einem mRNA-Impfstoff bestehe, um einen schwerwiegenden Verlauf einer COVID-Erkrankung aufgrund der bestehenden Adipositas und rez. depressiver Episoden zu vermeiden. Des Weiteren sei A selbst voll entscheidungsfähig und könne die Tragweite einer solchen Erkrankung überblicken und wünsche darüber hinaus ausdrücklich die Impfung.

Die Kindesmutter ist der Impfung ihres Sohnes entgegengetreten. Nach ihrer Einschätzung sei die Impfung mit dem Präparat von Biontech Pfizer eine „Gentherapie“. Es sei im Übrigen noch nicht hinreichend geklärt, ob A bereits durch eine vorgegangene Infektion immunisiert worden sei.

Die Entscheidung des Gerichts:

Das OLG Frankfurt a.M. erachtet eine Entscheidung nach § 1628 S. 1 BGB insbesondere nicht entbehrlich, weil der Minderjährige nach § 630d BGB für den medizinischen Eingriff bereits einwilligungsfähig im Verhältnis zu der ärztlichen Impfperson gewesen sei: „Denn selbst bei der hier naheliegenden Einwilligungsfähigkeit des Minderjährigen betrifft § 630d BGB lediglich die Einwilligungsfrage in die tatsächliche ärztliche Behandlung und nicht die rechtliche Vertragsbeziehung des der Behandlung zugrundeliegenden Vertrages zwischen dem Minderjährigen bzw. seinen Eltern und dem handelnden bzw. impfenden Arzt […]. Auch teilt der Senat die wohl überwiegend vertretene Ansicht, dass es bei einem nicht geringfügigen medizinischen Eingriff - wie der noch nicht als Standard-Impfung geltenden Impfung gegen das Corona-Virus - es zur Wirksamkeit der Einwilligung des Patienten auch der Einwilligung der sorgeberechtigten Eltern im Wege eines sog. Co-Konsens bedarf“.

Das geht an der intensiven arzthaftungsrechtlichen Diskussion, die in den letzten Jahren mehr und mehr zugunsten eines Alleinentscheidungsrechts des Minderjährigen tendiert, einigermaßen vorbei, während sich das OLG in der Sache selbst an der STIKO orientiert und hierbei dezidiert die Notwendigkeit eines Sachverständigengutachtens von sich weist: „Bei der Übertragung der Entscheidungsbefugnis über Schutzimpfungen nach § 1628 S. 1 BGB auf einen Elternteil kann grundsätzlich nach inzwischen gesicherter Rechtsprechung darauf abgestellt werden, dass die Entscheidungsbefugnis grundsätzlich demjenigen Elternteil zu übertragen ist, der die Impfung des Kindes entsprechend den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission beim Robert Koch Institut befürwortet, soweit bei dem Kind keine besonderen Impfrisiken vorliegen […]. Die Impfempfehlungen der beim Robert Koch Institut angesiedelten Ständigen Impfkommission (STIKO) sind in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs als medizinischer Standard anerkannt worden und dem liegt der Gedanke zugrunde, dass bei einer Impfempfehlung nach der dortigen sachverständigen Einschätzung der Nutzen der jeweiligen Impfung das Impfrisiko überwiegt […]. Es handelt sich dabei um die Feststellung einer auf Sachverständigenerkenntnissen hierfür eingesetzten Expertenkommission, deren Richtigkeit nicht ohne weiteres anzuzweifeln ist. Soweit die Beschwerde rügt, das Amtsgericht habe die von ihr angebotenen Sachverständigengutachten zu den von ihr behaupteten Tatsachen und Risiken der Impfung nicht eingeholt, kann sie mithin hiermit im vorliegenden Verfahren nicht durchdringen, da im einstweiligen Anordnungsverfahren angesichts der Eilbedürftigkeit Sachverständigengutachten ohnehin nicht eingeholt werden können […]. Ohnehin erscheint es zweifelhaft, ob auch bei der Corona-Schutzimpfung bei Vorliegen einer anerkannten Empfehlung der STIKO in einem Hauptsacheverfahren ein Sachverständigengutachten zur Klärung und Abwägung der allgemeinen Infektions- und Impfrisiken erforderlich wäre, was der Bundesgerichtshof jedenfalls bei der allgemeinen Schutzimpfung eines Kindes verneint hat“ (BGH FamRZ 2017, 1057, Rn. 27).

OLG Frankfurt a.M. 17.08.2021 – 6 UF 120/21

d)    Co-Konsens II (14- und 16-Jährige)

Der Fall:

Der Ast. und die Ag. sind geschiedene Eheleute. Aus ihrer Ehe sind die beiden minderjährigen Kinder H. (geboren 2005) und M. (geboren 2007) hervorgegangen. Die beiden Kinder haben ihren gewöhnlichen Aufenthalt beim Kindesvater. Das Sorgerecht für die beiden Kinder üben die Eltern weiterhin gemeinsam aus. Die Kindeseltern streiten über die Entscheidungsbefugnis für die Zustimmung zu einer Schutzimpfung der beiden Kinder gegen das Corona Virus SARS-CoV-2. Die Kindesmutter ist bisher nicht bereit gewesen, einer Impfung ihrer beiden Kinder zuzustimmen.

Die Entscheidung des Gerichts:

Auch das OLG Rostock meint, von einem Co-Konsens ausgehen zu müssen, stützt dies bemerkenswerter Weise auf die Empfehlung der STIKO selbst:

„Der Senat kann offenlassen, ob die beiden Kinder - wie von der Kindesmutter bestritten, vom Kindervater aber angenommen und für den 14-jährigen M. jedenfalls nicht fern- und für den 16-jährigen H. sogar naheliegend - für eine Impfung bereits einwilligungsfähig sind. Der Senat braucht auch nicht generell zu entscheiden, ob es bei einem nicht geringfügigen medizinischen Eingriff - wie der noch nicht als Standardimpfung geltenden Impfung gegen das Corona-Virus - neben der nach § 630d Abs. 1 BGB erforderlichen Einwilligung eines einwilligungsfähigen Minderjährigen als der zu impfenden Person auch der Einwilligung seiner sorgeberechtigten Eltern im Wege eines sogenannten Co-Konsenses bedarf […]. Denn die Übertragung der elterlichen Entscheidungsbefugnis für die Zustimmung zur Impfung wäre unter den hier gegebenen Umständen selbst dann erforderlich, wenn man mit einer verbreiteten Ansicht allein auf die Einwilligung des einwilligungsfähigen Kindes abstellen wollte“.

Die STIKO weise in ihren Hinweisen zur praktischen Umsetzung ihrer Impfempfehlung nämlich darauf hin, dass die COVID-19 Impfung eine sorgfältige Aufklärung der zu impfenden Person bzw. ihres Sorgeberechtigten voraussetze und dass bei Minderjährigen, die aufgrund ihres Alters und ihrer Entwicklung die erforderliche Einsichts- und Entscheidungsfähigkeit besäßen, auch ihr Wille zu berücksichtigen sei, so dass ein Konsens zwischen den Minderjährigen sowie den zur Einwilligung Berechtigten vorliegen sollte: „Vor diesem Hintergrund geht der Senat davon aus, dass ein für die Impfung der beiden Kinder ausgewählter Arzt deren Impfung - unter Beachtung dieser Hinweise - nicht nur von deren Einwilligung, sondern auch von der Einwilligung ihres Sorgeberechtigten abhängig macht, so dass für die vom Kindesvater begehrte Übertragung der elterlichen Entscheidungsbefugnis ein Bedürfnis besteht.“

Die Übertragung der elterlichen Entscheidungsbefugnis auf den Kindesvater werde schließlich auch dem Willen der beiden Kinder gerecht: „Beide haben bereits gegenüber dem Amtsgericht geäußert, sich impfen lassen zu wollen. Diesen Wunsch haben sie auch gegenüber ihrem Verfahrensbeistand zum Ausdruck gebracht. Mag dieser Wunsch bei M. - wie vom Verfahrensbeistand vermutet - auch durch seine Hoffnung motiviert sein, den familiären Streit mit einer Impfung beenden zu können, mit der er seinem Vater gefalle und seiner Mutter zeigen könne, dass Impfungen nicht so schlimm seien und sie sich keine Sorgen mehr machen müsse, kann dieser Wunsch angesichts seines Alters von über vierzehn Jahren doch nicht unberücksichtigt bleiben. Erst Recht gilt dies für seinen älteren Bruder H., der nach den Ausführungen des Verfahrensbeistandes für sich bereits eine Entscheidung getroffen habe; er sei davon überzeugt, dass er selbst entscheiden könne, ob er geimpft werden möchte oder nicht. Hierzu hat auch der Verfahrensbeistand eingeschätzt, dass H.s Ausführungen zu diesem Thema fundiert und das Ergebnis seines eigenen Denkvorganges seien; er wäge ab und entscheide für sich über die Risiken und Chancen. Diesen Eindruck hat auch der Senat bei der Anhörung der beiden Kinder am 09.12.2021 gewonnen. Beide Kinder haben dort noch einmal bekräftigt, dass sie geimpft werden möchten. Dabei haben sie dem Senat ihre Gründe für ihren Impfwunsch nachvollziehbar erklärt.“

Das für eine einstweilige Anordnung erforderliche dringende Bedürfnis bestehe insoweit aber nur für die Übertragung der elterlichen Entscheidungsbefugnis für die Grundimmunisierung: „Nur insoweit liegt es - angesichts des auch in Mecklenburg-Vorpommern sehr dynamischen und stark ausgeprägten Infektionsgeschehens - namentlich der sogenannten „vierten Welle“ - auf der Hand […]. Soweit der Kindesvater mit seinem Antrag begehrt, ihm auch die Entscheidungsbefugnis für „gegebenenfalls in der Zukunft von der STIKO empfohlene Auffrischungs- bzw. Folgeimpfungen gegen COVID-19“ zu übertragen, hat er das für eine einstweilige Anordnung erforderliche dringende Bedürfnis indes nicht schlüssig dargelegt und ist ein solches - derzeit - auch nicht ersichtlich. Nach der Aktualisierung der STIKO-Empfehlung zur COVID-19-Impfung vom 29.11.2021 soll eine COVID-19-Auffrischimpfung bei Personen ab 18 Jahren „in der Regel im Abstand von 6 Monaten zur letzten Impfstoffdosis der Grundimmunisierung“ durchgeführt werden.“

OLG Rostock 10.12.2021 – 10 UF 121/21

e)    Maßgebliche Entscheidung des Minderjährigen (14-Jährige)

Der Fall:

Die betroffene 14-jährige Jugendliche R. ist die ältere Tochter ihrer getrenntlebenden, gemeinsam sorgeberechtigten Eltern. R. lebt gemeinsam mit ihrer kleinen Schwester L., geboren .2010, im Haushalt der Mutter und hat regelmäßig Kontakt zu ihrem Vater. Nach vielfachen gerichtlich ausgetragenen Streitigkeiten zum Unterhalt und zum Umgangsrecht finden die Eltern keine Einigkeit darüber, ob R. gegen das Corona-Virus geimpft werden soll. Der Vater möchte, dass diese Impfung bei R. vorgenommen wird. Er orientiert sich an den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) des Robert-Koch-Instituts und verweist auf die aktuelle Corona-Situation. Derzeit infizierten sich wöchentlich 3 % der Jugendlichen in R.s Altersgruppe. Es gehe ihm auch um den Schutz der Angehörigen und der Gesellschaft. Er habe diesbezüglich mehrfach bei der Mutter angefragt; diese lehne eine entsprechende Impfung jedoch ab. Der Vater hat daher beantragt, ihm im Wege einer einstweiligen Anordnung die Befugnis zur alleinigen Entscheidung über die Impfung von R. gegen das SARS-CoV-2-Virus zu übertragen. Die Mutter ist dem Antrag des Vaters entgegengetreten und hat dabei auch die Eilbedürftigkeit von dessen Begehren in Frage gestellt.

Die Entscheidung des Gerichts:

Ganz anders der Weg des OLG Dresden, das die Möglichkeit einer einstweiligen Anordnung gar von der Einwilligungsfähigkeit des Minderjährigen abhängig macht: „Dabei mag grundsätzlich viel dafür sprechen, die Entscheidungsbefugnis über eine Covid-19-Schutzimpfung für ein Kind bei hierüber streitenden Eltern demjenigen Elternteil zu übertragen, der - in Übereinstimmung mit einer entsprechenden Empfehlung der STIKO - diese Impfung befürwortet […]. Hinzutreten muss aber bei Jugendlichen, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, deren Einwilligung in die Impfung (die bei den beiden vorgenannten Entscheidungen jeweils vorlag) oder die Feststellung der Einwilligungsunfähigkeit des Betroffenen. Solange es, wie hier, daran fehlt, kann eine einstweilige Anordnung gemäß § 1628 BGB nicht erlassen werden, schon weil es an der dafür erforderlichen Eilbedürftigkeit mangelt.“

Gemäß § 49 Abs. 1 FamFG könne das Gericht durch einstweilige Anordnung eine vorläufige Maßnahme treffen, soweit dies nach den für das Rechtsverhältnis maßgebenden Vorschriften gerechtfertigt sei und ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Einschreiten bestehe. In Kindschaftsverfahren gehe es in erster Linie jedoch um die Sicherung und den Schutz des Wohls des betroffenen Kindes. Der Schutz Angehöriger oder der Allgemeinheit könne daher für sich allein kein dringendes Bedürfnis für die vom Vater erstrebte Regelung begründen. Es sei für eine Eilentscheidung auch nicht ausreichend, dass die beabsichtigte Corona-Impfung zum Schutz des Kindes (oder der Familie und der Allgemeinheit) sinnvoll sei: „Das verfahrensrechtliche Eilbedürfnis ist im vorliegenden Zusammenhang nicht ausschließlich an generalpräventiven Überlegungen zum Gesundheitsschutz und an allgemeinen epidemiologischen Risikoerwägungen orientiert, sondern berücksichtigt im Rahmen einer umfassenden Kindeswohlprüfung unter Beachtung der Persönlichkeitsrechte des betroffenen Jugendlichen, wie sie etwa in § 630d BGB zum Ausdruck kommen, Voraussetzungen und Auswirkungen der beantragten Eilentscheidung. Hieran gemessen kann dem Antragsteller die begehrte Alleinentscheidungsbefugnis derzeit nicht übertragen werden.“

Nach § 630d BGB bedürfe die Durchführung jeglicher medizinischer Maßnahme – dazu zählt auch eine Impfung – aber der persönlichen Einwilligung des Patienten, wenn dieser einwilligungsfähig sei: „Der Behandelnde (hier also der Impfarzt) ist verpflichtet, den Patienten selbst über sämtliche für die Einwilligung wesentlichen Umstände aufzuklären. Nichts anderes hat R. mit ihrer Beschwerde und der Bitte um ein Beratungsgespräch mit der ihr vertrauten Kinderärztin eingefordert. Das erscheint dem Senat ausgesprochen vernünftig, auch wenn diese Beratung ggfls. durch Einholen einer Zweitmeinung zu ergänzen wäre. R. hat gleichzeitig darauf verwiesen, dass sie sich durch die unterschiedlichen Positionen der Eltern stark belastet sehe. Angesichts dessen wäre es Aufgabe und Ausdruck der sorgerechtlichen Verantwortung beider Eltern, zuvörderst aber des die Impfung betreibenden Vaters, die Zweifel und die Zerrissenheit R.s ernst zu nehmen, anstatt sie unter Berufung auf die eigene Fachkompetenz beiseite zu schieben, und ihr bei einer eigenen Willensbildung zu helfen, anstatt diese von vornherein für irrelevant zu erklären.“

Ob das Kind dazu imstande wäre, könne im Augenblick freilich nicht abschließend festgestellt werden, weil die Eltern es bisher nicht vermocht hätten, sich über die Vor- und Nachteile der Impfung für ihr Kind miteinander sachlich auszutauschen, mit R. darüber zu sprechen und etwa einen (nach Möglichkeit gemeinsamen) Beratungstermin bei der Kinderärztin und/oder bei einem anderen Arzt zu vereinbaren. Ohne jede Einbindung R.s werde eine Entscheidung aber nicht möglich sein: „Denn auch im Rahmen der nach § 1697a BGB vorzunehmenden Kindeswohlprüfung ist jedenfalls dann, wenn mit zunehmender Reife die Selbstbestimmung des Kindes an Gewicht gewinnt und das Kind sich aufgrund seines Alters und seiner Entwicklung eine eigenständige Meinung zum Streitgegenstand bilden kann, auf dessen Willen Rücksicht zu nehmen. Das gilt auch für die hier zu treffende Entscheidung über die Impfung. Für die Annahme der Einwilligungsfähigkeit gibt es zwar keine feste Altersgrenze, da es stets auf die individuelle Entwicklung des Kindes ankommt. Die Rechtsordnung geht jedoch an vielen Stellen davon aus, dass mit der Vollendung des 14. Lebensjahres eines Jugendlichen grundsätzlich ein gewisses Maß an Einsichtsfähigkeit und Eigenverantwortung vorhanden ist. Kinder werden mit 14 Jahren strafmündig (§ 19 StGB). Sie entscheiden frei über ihre Religionszugehörigkeit (§ 5 des Gesetzes über religiöse Kindererziehung). Sie haben auch kindschaftsrechtlich eigene materiell-rechtliche Befugnisse (vgl. etwa § 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr.1 BGB) und eigene Rechte im Gerichtsverfahren (§ 60 S.3 FamFG). Da Kinder in ihre Person betreffenden Verfahren nach § 159 Abs. 1 S. 1 FamFG grundsätzlich anzuhören sind, wenn sie das 14. Lebensjahr vollendet haben, kann bei einem altersgemäß entwickelten Jugendlichen grundsätzlich ab Erreichen dieser Altersgrenze von seiner Einwilligungsfähigkeit ausgegangen werden […]. Damit aber das minderjährige Kind die erforderliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit umsetzen kann, muss es selbst – und nicht nur die Eltern – ärztlich aufgeklärt werden […]. Führt diese Aufklärung dazu, dass das einwilligungsfähige Kind die Impfung ablehnt, können die Eltern sie selbst dann nicht erzwingen, wenn sie die Impfung beide befürworten“.

Eine Aufklärung sei bisher aber nicht erfolgt, obwohl R. ausdrücklich darum gebeten habe: „Es ist auch weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, das die in Rede stehende Impfung, etwa aufgrund besonderer Risikofaktoren gerade bei R., so eilbedürftig wäre, dass die Aufklärung des Mädchens von vornherein ausbleiben könnte. Der Antragsteller könnte mit der beantragten Regelung, die nur den Konflikt der Eltern zu regeln geeignet wäre, daher praktisch die Durchführung der Impfung auch nicht bewirken, solange R.s eigene Einwilligung nicht vorliegt. Da der Antragsteller bisher nicht zu erkennen gegeben hat, dass er sich darum auch nur bemühen werde, und infolgedessen auch das Maß der Verstandesreife und Einsichtsfähigkeit von R. nicht geklärt werden kann, weil die dafür erforderliche Aufklärung bisher nicht stattgefunden hat, scheidet eine entsprechende einstweilige Anordnung zum gegenwärtigen Zeitpunkt aus.“

 

 

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30.04.2022

Informationen

OLG Dresden
Urteil/Beschluss vom 28.01.2022
Aktenzeichen: 20 UF 875/21

Fachlich verantwortlich

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