Prof. Dr. Patrick Gödicke RiOLG, Frankfurt a.M./Karlsruhe

Dokumentation und Beweiswert - b) keine Beweisvermutung trotz Leitlinienforderung nach Dokumentation

Dass in dieser Konsequenz selbst in Leitlinien aufgestellte Dokumentationsforderungen sich im konkreten Fall nicht in Beweisvermutungen umsetzen lassen müssen, zeigt sodann der folgende Fall.

 

Der Fall:

Der zum Behandlungszeitpunkt 14-jährige Kläger nimmt die Beklagten wegen einer 2018 vorgenommenen Magenspiegelung in Kombination mit einer Darmspiegelung auf Schmerzensgeld in Höhe von 30.000 € mit der Behauptung in Anspruch, eine vereinbarte Schmerzmittelgabe während der Untersuchungen sei absprachewidrig unterblieben, die vorgenommene Sedierung zu spät begonnen und überdies unzureichend geführt worden. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Nach der Einschätzung des Sachverständigen sei davon auszugehen, dass dem medizinischen Standard durch die in den Behandlungsunterlagen vermerkte Gabe von Midazolam genügt worden sei und der Kläger während der Untersuchung nicht an erheblichen Schmerzen gelitten habe.

 

Mit der Berufung bringt der Kläger vor, dass die Beweisaufnahme keineswegs ergeben habe, dass die vorgenommene Sedierung ausreichend gewesen sei. Es stehe vielmehr fest, dass die Behandlung am bereits um 10:37 Uhr begonnen, die erste Midazolam-Gabe jedoch erst um 10:52 Uhr erfolgt sei. Unter eklatanter Missachtung der Beweisregeln habe das Landgericht überdies angenommen, dass zunächst die Magenspiegelung erfolgt sei; tatsächlich sei mit der Koloskopie begonnen worden. Insoweit habe das LG auch verkannt, dass der genauen Zeitpunkte der Einführung und des Rückzugs des Endoskops entgegen der Leitlinie "Qualitätsanforderungen in der gastrointestinalen Endoskopie" nicht dokumentiert seien.

 

Die Entscheidung des Gerichts:

Das OLG wies die Berufung zurück.

Der Vorwurf, die Sedierung des Klägers sei nicht ausreichend gewesen, weil sich aus den Behandlungsunterlagen ergebe, dass die Untersuchung bereits um 10:37 Uhr begonnen habe, die Sedierung jedoch erstmals um 10:52 Uhr vorgenommen worden sei, sei durch die Beweisaufnahme widerlegt, insbesondere die Aussage der Zeugin R., die sich glaubhaft habe daran erinnern können, dass wie auf den von der Beklagten als Anlage B3 zu den Akten gereichten Bildern um 10:52 Uhr mit der Gabe von 2 x 2,5mg Midazolam begonnen worden sei, die eigentliche Untersuchung aber regelmäßig erst begonnen werde, wenn die Sedierung wirke. Auch die Anlage spreche letztlich gegen einen Beginn der Untersuchung um 10:37 Uhr, weil die dort auf der linken Bildseite aufgebrachten Zeitangaben zum Teil offensichtlich nicht mit den Untersuchungszeiten in Übereinstimmung stünden, während der Zeitstempel im Feld „Bildeigenschaften“" einen Untersuchungsbeginn erst ab 10:53 Uhr belege. In Verbindung mit den Eintragungen in der Dokumentation wonach der Kläger „tief und fest“ geschlafen habe und den vom Sachverständigen ausgewerteten Vitalwerten, die jedenfalls nicht für eine schmerzinduzierte Stressreaktion des Klägers sprechen, sei die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht zu beanstanden.

 

Die Behauptung des Klägers, die Koloskopie sei vor der ÖGD begonnen worden, mit der er eine fehlende oder unzureichende Sedierung bei deren Beginn belegen wolle, stehe im Widerspruch zu den Behandlungsunterlagen, für deren Verfälschung nichts ersichtlich sei.

Zweifel seien ins auch nicht mit Blick auf die vom Kläger angeführte Leitlinie „Qualitätsanforderungen in der gastrointestinalen Endoskopie“ gerechtfertigt: „Selbst wenn diese Leitlinie weitergehende Anforderungen an die Dokumentation des Behandlungsbeginns aufstellen sollte und selbst wenn - was der Sachverständige Prof. S. in der mündlichen Anhörung in Abrede gestellt hat - eine solche Dokumentation medizinisch geboten gewesen wäre, könnte hieraus nach § 630h Abs. 3 BGB allein gefolgert werden, dass die Endoskopie nicht stattgefunden hat, was jedoch zwischen den Parteien unstreitig ist. Ein Schluss auf einen Behandlungsfehler könnte aus einem solchen Dokumentationsversäumnis hingegen nicht gezogen werden.“

Mehr aus diesem Rechtsgebiet lesen

13.07.2023

Informationen

OLG Dresden
Urteil/Beschluss vom 26.10.2022
Aktenzeichen: 4 U 1258/22

Fachlich verantwortlich

Prof. Dr. Patrick Gödicke RiOLG, Frankfurt a.M./Karlsruhe

Seminare im Fokus

Unten finden Sie eine Auswahl von Fortbildungen zum Rechtsgebiet Medizinrecht. 

Alle Onlineseminare zu Medizinrecht finden Sie hier

ARBER-Info

Aktuelle Entwicklungen und Rechtsprechung

FAQ

Fragen und Antworten