Prof. Dr. Patrick Gödicke RiOLG, Frankfurt a.M./Karlsruhe

Haftung anderer als ärztlicher Leistungserbringer - Pflichten einer Hebamme

Zunehmend in den Fokus haftungsrechtlicher Überlegungen gelangen in den letzten Jahren auch nichtärztliche Leistungserbringer. Während dies im vergangenen Jahr vor allem den kosmetischen Bereich betraf, beleuchten die folgenden Fälle andere Gesundheitsdienstleister, deren praktische Bedeutung freilich noch höher einzuordnen sein dürfte.

 

 

 

Weitaus häufiger in der Parallelbetrachtung zum Arzt liegen Hebammen, deren fachliche Kompetenz freilich gleichwohl nach ihren eigenen Vorgaben zu beurteilen ist. Wie der folgende Fall zeigt, sind dabei in rechtlicher Hinsicht gleichwohl die gleichen Maßstäbe hinsichtlich der Einordnung der jeweiligen Haftung anzulegen.

Der Fall:

Die Kl. verfolgt Schadensersatzansprüche u.a. gegen die beklagte Hebamme, die eine unter der Geburt eingetretene Uterus-Ruptur vorwerfbar verkannt habe. Soweit die Bekl. hierzu ausführt, sie habe ein von der Mutter beschriebenes „Gluckern“ als auf einen „Wehencocktail“ zurückgehende Kindesbewegungen gedeutet, bezeichnete der Sachverständige dies als „natürlich völligen Quatsch“. Die Bekl. beharrt indes darauf, dass ihr allenfalls ein einfacher, kein fundamentaler Diagnosefehler vorzuwerfen sei und die Beweislast hinsichtlich der Kausalität daher bei der Kl. verbleibe.

Die Entscheidung des Gerichts:

Dieser Argumentation ist das OLG nicht gefolgt, das - anders als das LG - bereits keinen Diagnosefehler angenommen hat. Entsprechend stehe der Annahme eines derartigen groben Fehlers auch nicht die sog. „Sperrwirkung“ eines Diagnosefehlers entgegen:

„Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die behandlungsfehlerhaft unterbliebene oder nicht rechtzeitige Hinzuziehung eines Arztes einer unterbliebenen oder nicht rechtzeitigen Befunderhebung gleichzustellen ist, hinsichtlich derer eine derartige Sperrwirkung regelmäßig angenommen wird […]. Denn es liegt insoweit bereits kein Diagnosefehler vor. Die Bekl. zu 3 hat ihre Diagnose, es habe sich lediglich um einen Tritt des Kindes gehandelt und das Gluckern sei auf den Wehencocktail zurückzuführen, gestellt, ohne dass die medizinisch gebotene Befunderhebung durchgeführt war.

Ein Diagnoseirrtum setzt voraus, dass der Arzt bzw. hier die Bekl. zu 3 als Hebamme die medizinisch notwendigen Befunde überhaupt erhoben hat, um sich eine ausreichende Basis für die Einordnung der Krankheitssymptome zu verschaffen. Hat dagegen die unrichtige diagnostische Einstufung einer Erkrankung ihren Grund bereits darin, dass der Arzt bzw. hier die Bekl. zu 3 die nach dem medizinischen Standard gebotenen Untersuchungen erst gar nicht veranlasst hat - er mithin aufgrund unzureichender Untersuchungen vorschnell zu einer Diagnose gelangt, ohne diese durch die medizinisch gebotenen Befunderhebungen abzuklären - dann ist ein Befunderhebungsfehler vorzuwerfen. Denn bei einer solchen Sachlage geht es im Kern nicht um die Fehlinterpretation von Befunden, sondern um deren Nichterhebung […]. Danach ist hier nicht von einem Diagnosefehler der Bekl. zu 3 auszugehen.“

Selbst wenn man indes von einem Diagnosefehler ausginge, sei dieser - wie seitens des LG geschehen - als grob zu qualifizieren:

„Das Landgericht hat beachtet, dass bei einem Diagnosefehler eine Beweislastumkehr nur dann in Betracht kommt, wenn der Fehler als grob zu bewerten ist und ein Fehler bei der Interpretation der erhobenen Befunde nur dann einen schweren Verstoß gegen die Regeln der ärztlichen Kunst und damit einen "groben" Diagnosefehler darstellt, wenn es sich um einen fundamentalen Irrtum handelt. Wegen der bei Stellung einer Diagnose nicht seltenen Unsicherheiten muss die Schwelle, von der ab ein Diagnoseirrtum als schwerer Verstoß gegen die Regeln der ärztlichen Kunst zu beurteilen ist, der dann zu einer Belastung der Behandlungsseite mit dem Risiko der Unaufklärbarkeit des weiteren Ursachenverlaufs führen kann, hoch angesetzt werden“.

Ausgehend von diesen Grundsätzen habe das LG den von ihm angenommenen Diagnosefehler der Bekl. zu 3 zutreffend als fundamental eingestuft: „Die Bekl. zu 3 hat unstreitig nicht an eine Uterusruptur gedacht […]. Der Sachverständige Prof. Dr. S. hat auch den Senat überzeugend ausgeführt, dass ausgehend von der Schilderung der Mutter der Kl. immer an eine Uterusruptur zu denken sei und als Möglichkeit ausgeschlossen werden müsse. Es handele sich insoweit um ein grobes Versäumnis der Hebamme, nicht an eine Uterusruptur zu denken. Dies begründe den Vorwurf eines groben Fehlers. Die Einordnung des Ereignisses der Bekl. zu 3 als Tritt des Kindes sei "natürlich völliger Quatsch" und das Gluckern als Darmtätigkeit zu interpretieren sei fernliegend. Ausgehend von einem starken Schmerzereignis wie von der Mutter geschildert sei die Interpretation der Bekl. zu 3 grob fehlerhaft […]. Daran hat er bei seiner Anhörung vor dem Senat festgehalten […]. Dem kann die Berufung nicht entgegenhalten, es handele sich insoweit allenfalls um "flapsige" Ausführungen des Sachverständigen. Auch sie lassen vielmehr erkennen, dass es sich um einen fundamentalen Irrtum der Bekl. zu 3 handelte, bei dem die Einschätzung des Ereignisses durch sie abwegig war.“

 

 

Mehr aus diesem Rechtsgebiet lesen

28.02.2022

Informationen

OLG Karlsruhe
Urteil/Beschluss vom 03.02.2021
Aktenzeichen: 7 U 2/19

Fachlich verantwortlich

Prof. Dr. Patrick Gödicke RiOLG, Frankfurt a.M./Karlsruhe

Seminare im Fokus

Unten finden Sie eine Auswahl von Fortbildungen zum Rechtsgebiet Medizinrecht. 

Alle Onlineseminare zu Medizinrecht finden Sie hier

ARBER-Info

Aktuelle Entwicklungen und Rechtsprechung

FAQ

Fragen und Antworten