Prof. Dr. Patrick Gödicke RiOLG, Frankfurt a.M./Karlsruhe

Zeitfaktor Patientenaufklärung - 2. Erst unterschreiben, dann lesen?

Was aber geschieht, wenn der Patient zwar genügend Zeit bis zum Eingriff hat, aber bereits unmittelbar nach Ende des Aufklärungsgesprächs gebeten wird, zu unterschreiben, und den Bogen dann mit nach Hause nimmt?

 

Der Fall:

Der Kl. verlangt von der Bekl. Schadensersatz u.a. wegen Aufklärungsfehlern im Zusammenhang mit einer operativen Begradigung der Nasenscheidewand in der Klinik der Bekl.. Der Kl. wurde von seinem behandelnden HNO-Facharzt in die HNO-Klinik der Bekl. überwiesen und dort in der Ambulanz am 28.10.2013 behandelt. Dort berichtete er Prof. Dr. N. von chronisch rezidivierenden Ohrenentzündungen und Paukenergüssen. Dieser riet dem Kl. zu zwei Operationen in zeitlichem Abstand von 6-8 Wochen. Am 1.11.2013 unterzeichnete der Kl. die Operationseinwilligung für die Nasen-Septum-Plastik. Am 4.11.2013 wurde der Kl. stationär aufgenommen und der Eingriff zur Begradigung der Nasenscheidewand sowie eine vollständige Nasennebenhöhlenoperation durch den Oberarzt Dr. P. durchgeführt. Unter der OP traten erhebliche Komplikationen mit Dauerfolgen ein. Der Kl. rügt, es habe keine Aufklärung über Behandlungsalternativen gegeben, außerdem sei er bereits bei Abschluss des Gesprächs gebeten worden, den Aufklärungsbogen zu unterzeichnen, was er auch getan habe, bevor er ihn mit nach Hause genommen habe.

 

Die Entscheidung des Gerichts:

Das OLG erachtete die unter diesem Prozedere erteilte Einwilligung des Kl. für unwirksam, weil er keinerlei Bedenkzeit zwischen Aufklärung und Entscheidung eingeräumt bekommen habe: „Eine wohlüberlegte Entscheidung kann schon nach dem Wortlaut des § 630e Abs. 2 Nr. 2 BGB nur treffen, wer ausreichend Zeit zum Überlegen hat. Wenn ein Krankenhaus aus organisatorischen Gründen die Übung hat, den Patienten unmittelbar im Anschluss an die Aufklärung zur Unterschrift unter die Einwilligungserklärung zu bewegen, kann in einem solchen Fall nicht von einer wohl überlegten Entscheidung ausgegangen werden […]. Sie wird vielmehr unter dem Eindruck einer großen Fülle von dem Patienten regelmäßig unbekannten und schwer verständlichen Informationen und in einer persönlich schwierigen Situation abgegeben.

 

So liege der Fall hier: „Unstreitig hat der Kl. unmittelbar nach dem Aufklärungsgespräch am 1.11.2013 über die teils erheblichen Risiken, die mit der Operation verbunden sind, auf Bitten der Zeugin A. die Einverständniserklärung betreffend die streitgegenständliche Operation unterschrieben und damit nicht lediglich einen Nachweis über das stattgehabte Aufklärungsgespräch unterzeichnet, sondern seine Einwilligungserklärung zum streitgegenständlichen Eingriff erteilt. Unbeachtlich ist insoweit, ob die Zeugin den Kl. zur Unterschrift gedrängt hat oder ob der Kl. bereits drei Tage zuvor mit dem Zeugen Prof. Dr. N. über den Eingriff gesprochen hatte. Letzteres ist bereits deshalb unbeachtlich, da Prof. Dr. N. unstreitig keine Risikoaufklärung durchgeführt hatte. Entscheidend ist vielmehr, dass dem Kl. die bereits nach dem Wortlaut des § 630e Abs. 2 Nr. 2 BGB vorgesehene (Wohl-) Überlegungszeit nicht eingeräumt wurde und die Einwilligung daher unwirksam war.“

 

Der Kl. habe aber auch nicht konkludent zu einem späteren Zeitpunkt erneut in die streitgegenständliche Operation eingewilligt: „Der Umstand, dass der Kl. sich drei Tage nach dem Aufklärungsgespräch in die stationäre Aufnahme in der Klinik der Bekl. begeben hat, kann nicht als konkludente Einwilligungserklärung gewertet werden. Die Einwilligung kann ausdrücklich oder konkludent erklärt werden. Eine Form ist grundsätzlich nicht vorgesehen. Aus Gründen der Nachweisbarkeit bietet sich – wie in der Praxis üblich – Schriftform an. Der Behandelnde hat die Einwilligung nach § 630f Abs. 2 Satz 1 BGB in der Patientenakte aufzuzeichnen […]. Eine Einwilligungserklärung hat der Kl. ausdrücklich am 1.11.2013 abgegeben, indem er das entsprechende Formular unterzeichnete. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass der Kl. diese Einwilligung widerrufen hat. Darüber hinaus ist weder vorgetragen noch davon auszugehen, dass die Bekl. als Erklärungsempfänger bei der stationären Aufnahme des Kl. davon ausging, dass der Kl. erst jetzt seine Einwilligung zur Operation erteilt.“ Etwas anderes könne allenfalls dann gelten, wenn der Kl. bei der Aufnahme darauf hingewiesen worden wäre, dass seine vorausgehende schriftliche Einwilligung unwirksam war. Wenn der Kl. dann trotzdem die Aufnahme im Krankenhaus begehre, könne dies als (konkludente) Einwilligung gewertet werden. Dies sei vorliegend jedoch nicht der Fall gewesen.

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04.04.2023

Informationen

OLG Bremen
Urteil/Beschluss vom 25.11.2021
Aktenzeichen: 5 U 63/20

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