Wohnungseigentumsrecht - Behandlung des Selbstbehalts im Rahmen der Gebäudeversicherung

Eine Beschlussersetzung (hier die Änderung der bisherigen Praxis bei der Verteilung des Selbstbehalts im Rahmen einer Gebäudeversicherung) kann nicht nur dann erfolgen, wenn das Ermessen der Wohnungseigentümer auf null reduziert ist. Ein Gestaltungsspielraum der Eigentümerversammlung geht in der Beschlussersetzungsklage auf das Gericht über. Prozessual ist dem dadurch Rechnung zu tragen, dass der Kläger entgegen § 253 Abs. 2 Nr. 3 ZPO nur sein Rechtsschutzziel angeben muss. Dann besteht auch keine Bindung an die gestellten Anträge.

 

Eine Beschlussersetzungsklage ist daher schon dann begründet, wenn der Kläger überhaupt einen Anspruch auf eine Beschlussfassung hat. Nach diesen Maßstäben kommt eine Beschlussersetzung in Betracht, wenn eine andere Verteilung des Selbstbehalts begehrt wird. Hierüber zu entscheiden, besteht auch eine Beschlusskompetenz, da die Wohnungseigentümer bei umstrittenen, aber noch nicht höchstrichterlich geklärten Fragen ihre Verwaltung durch Beschluss festlegen können. Hierdurch wird die Rechtslage allerdings nicht verbindlich festgelegt. Zeigt sich im Nachhinein durch abweichende höchstrichterliche Entscheidungen, dass der Beschluss rechtwidrig ist, muss ein abändernder Beschluss gefasst werden. Bislang war die Behandlung des Selbstbehalts in diesem Sinne umstritten.

 

Nach wohl überwiegender Auffassung kommt der Selbstbehalt dem Versicherungsnehmer, also dem rechtsfähigen Verband zugute, der infolgedessen geringere Prämien zu zahlen hat. Deshalb müsse er auch den Selbstbehalt tragen (s. etwa AG Saarbrücken ZMR 2002, 980; Dötsch, ZMR 2014, 169, 175). Die Gegenposition behandelt den Selbstbehalt wie eine nur teilweise Versicherung des Risikos, die einen möglichen Schaden nicht vollständig abdeckt. Deshalb müsse jeder Wohnungseigentümer auch beim Selbstbehalt den Schaden insoweit tragen, wie er nicht versichert ist (Armbrüster, ZWE 2009, 109, 112). Die erstgenannte Auffassung ist zutreffend. Denn ansonsten müsste der betroffene Wohnungseigentümer in Höhe des Selbstbehalts ein Sonderopfer erbringen. Zudem blieben die Belange des vermietenden Wohnungseigentümers unberücksichtigt, der zwar seinen Anteil an der Versicherungsprämie auf den Mieter umlegen könnte, nicht aber den Selbstbehalt. Ob hier gleichwohl im Hinblick auf die erhöhte Schadensanfälligkeit einen Anspruch auf eine abweichende Beschlussfassung besteht, richtet sich nach den Maßstäben des § 10 Abs. 2 WEG, die nach wie vor auch für den Anspruch auf Änderung der Kostenverteilung durch Beschluss heranzuziehen sind.

Praxistipp:

Neben der Behandlung des Selbstbehalts, die der BGH als nach § 16 Abs. 2 WEG zu verteilende Verwaltungskosten ansieht, behandelt die Entscheidung zwei weitere, fast noch drängendere Fragen. Zum einen füllt der BGH die Lücke, die die Streichung von § 21 Abs. 8 WEG a. F. gerissen hat, unter Hinweis auf den Gestaltungsspielraum des Gerichtes. In der Konsequenz bedarf es jetzt noch nicht einmal mehr des Antrags auf eine Entscheidung nach billigem Ermessen des Gerichtes. Es genügt, wenn das Rechtsschutzziel erkennbar wird.

 

Des Weiteren eröffnet der BGH eine (leider nicht dogmatisch hergeleitete) Beschlusskompetenz für Fragen der Verwaltung, die umstritten, aber nicht höchstrichterlich geklärt sind. In diesem Zusammenhang erscheinen die Ausführungen zum Anspruch auf einen Zweitbeschluss freilich zweifelhaft. Nach herkömmlicher Auffassung nahm man nach Ablauf der Anfechtungsfrist Bestandskraft an, selbst wenn sich die Mehrheit der Wohnungseigentümer bewusst über die Rechtsprechung zu einer Frage ordnungsmäßiger Verwaltung hinwegsetzte. Wieso diese nunmehr sogar von einer nachträglichen höchstrichterlichen Entscheidung ausgehebelt werden kann, begründet der BGH dogmatisch nicht.

Mehr aus diesem Rechtsgebiet lesen

04.04.2023

Informationen

BGH
Urteil/Beschluss vom 16.09.2022
Aktenzeichen: V ZR 69/21

Fachlich verantwortlich

Dr. Dr. Andrik Abramenko RiLG

Seminare im Fokus

Unten finden Sie eine Auswahl von Fortbildungen zum Rechtsgebiet Miet- und Wohnungseigentumsrecht. 

Alle Onlineseminare zu Miet- und Wohnungseigentumsrecht finden Sie hier

ARBER-Info

Aktuelle Entwicklungen und Rechtsprechung

FAQ

Fragen und Antworten