Prof. Dr. Patrick Gödicke RiOLG, Frankfurt a.M./Karlsruhe

Auswahl und Abschluss der Sachverständigen-Begutachtung – 1. Fachgebietsauswahl / b. Maßgebliches Fachgebiet bei hausärztlicher Behandlung

Maßgebliches Fachgebiet bei hausärztlicher Behandlung

  

Nicht selten wird das maßgebliche Fachgebiet dabei gerade im Hinblick auf hausärztliche Behandlungsleistungen in Zweifel gezogen, die nicht selten ihrem Schwerpunkt nach bei internistischen Erkrankungen gesehen werden. Tatsächlich bleibt es aber auch dann bei der Maßgeblichkeit eines Facharztes für Allgemeinmedizin und dies – wie der folgende Fall zeigt – selbst dann, wenn der Hausarzt auch Facharzt für Innere Medizin ist.

  

Der Fall:

Die seinerzeit 67-jährige Kl. befand sich seit Dezember 2013 in hausärztlicher Betreuung bei der Bekl. Im April 2014 stellte sie sich mit einer Schwellung des linken Knöchels ohne Trauma vor. Die Bekl. vermutete eine Nebenwirkung des vom Psychiater verordneten Medikamentes Mirtazapin, schloss in der Folgezeit mehrfach eine Thrombose aus und verordnete einerseits ein Antibiotikum, andererseits Wadenkompressionsstrümpfe. Nach Vorstellung bei einem Orthopäden wurde im Mai 2014 in einer Klinik ein sog. Charcot-Fuß festgestellt (schmerzunempfindlicher Fuß, bei dem Knochen unbemerkt brechen).

  

Die Kl. rügt mehrfache Befunderhebungs- und Diagnosefehler, woraufhin das Landgericht ein Sachverständigengutachten eines Facharztes für Innere Medizin einholte und die Klage abwies. Die Kl. rügt, dass das Gericht das Gutachten fehlinterpretiert habe und zudem bereits dessen Fachgebiet fehlerhaft gewählt habe.

  

Die Entscheidung des Gerichts:

Das OLG bestätigte die Klageabweisung, jedoch erst nach Einholung eines neuen Sachverständigengutachtens, da erforderlich gewesen sei, weil es auf den hausärztlichen Facharztstandard angekommen sei und damit auf das Gutachten eines Facharztes für Allgemeinmedizin: „Grundsätzlich ist bei der Auswahl eines Sachverständigen auf die Sachkunde in dem medizinischen Fachgebiet abzustellen, in das der Eingriff fällt. Der vom Landgericht beauftragte Sachverständige ist Facharzt für Innere Medizin, hat an einer Klinik für Infektiologie/Tropenmedizin, Nephrologie und Rheumatologie gearbeitet und hat daher seiner Begutachtung ersichtlich nicht den hausärztlichen Behandlungsstandard zugrunde gelegt.“ Auch die von der Sächsischen Landesärztekammer beauftragte Sachverständige sei ebenfalls Fachärztin für Innere Medizin und leite eine Rheumatologische Ambulanz und ein Osteoporose-Zentrum. Die Bekl. sei zwar ebenfalls Fachärztin für Innere Medizin, die Behandlung falle aber gleichwohl in den Fachbereich der hausärztlichen Betreuung.

 

Der durch den Berufungssenat stattdessen betraute Sachverständige habe hingegen mit überzeugenden Gründen einen Behandlungsfehler verneint. Das Vorgehen der Bekl. im vorliegenden Fall sei zielführend gewesen, weil zunächst mit der Beinvenenthrombose eine unmittelbar gefährliche Erkrankung, die sofort angegangen werden müsse, ausgeschlossen worden sei. Nachdem dies geschehen sei, habe man ambulant weiter therapieren und ausgehend von jeweiligen in der Hausarztpraxis auftretenden Wahrscheinlichkeiten unterschiedliche Verdachtsdiagnosen in den Blick nehmen können. Hier sei es wichtig, dass Hypothesen aufgestellt werden, die jeweils auch wieder verworfen werden, wenn sich zeige, dass die entsprechende Behandlung nicht angeschlagen habe. Dies sei genau das, was in der hausärztlichen Ausbildung gelehrt werde, nämlich die sogenannte Stufendiagnostik.

 

Wenn der durch das Landgericht beauftragte Sachverständige aus seiner Sicht des Infektiologen vertreten habe, dass bereits Anfang Mai 2014 ein Röntgenbild hätte angefertigt werden müssen, könne dies daran liegen, dass der Facharzt die seltene Erkrankung in den Vordergrund stelle, während der Allgemeinmediziner nach dem hier geltenden Standard vom „häufigen“ zum „seltenen“ gehen müsse. Bei einem geschwollenen Fuß ohne Achsabweichung und eingeschränkten Gangbild hätte man auch nicht an eine Überweisung an einen Orthopäden denken müssen. Wenn man an eine Überweisung denke, dann eher an einen Radiologen. Bei dem Stadium Null wäre aber möglicherweise auf dem Röntgenbild auch gar nichts zu sehen gewesen. Beim Charcot-Fuß sei der Verlauf dadurch gekennzeichnet, dass mit fortschreitendem Verlauf die Diagnose einfacher werde, weil dann Symptome auftreten, die darauf hindeuten. Das Krankheitsbild sei in der hausärztlichen Praxis sehr selten. Ein Befunderhebungsfehler lasse sich daher nicht feststellen.

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22.02.2023

Informationen

OLG Dresden
Urteil/Beschluss vom 12.07.2022
Aktenzeichen: 4 U 836/21

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