Prof. Dr. Patrick Gödicke RiOLG, Frankfurt a.M./Karlsruhe

Behandlungspflicht und Standard - Goldstandard?

Messlatte jedes Behandlungsfehlers ist der medizinische Standard. Wann aber schlägt er sich auch als (konkrete) Behandlungspflicht nieder, wann bleibt dem Arzt ein (justiziabler) Spielraum und wann bewegen sich Abweichungen noch außerhalb eines haftungsrelevanten Pflichtenfelds? Hierzu äußern sich, in unterschiedlich gelagerten Konstellationen, die folgenden Entscheidungen.

 

Jedenfalls überschritten wird die Pflichtgrenze - im Sinne einer Obergrenze - allerdings dann, wenn standardüberschreitende Qualitätsmaßstäbe herangezogen werden. Bereits begrifflich schwer abzugrenzen ist dies allerdings im Fall des sog. „Goldstandards“, mit dem einerseits mehr, andererseits aber auch nur die völlige Unangefochtenheit des bloßen Facharztstandards gemeint werden kann.


Der Fall:


Der Kl. verfolgt Schadensersatz wegen einer behaupteten Fehlbehandlung eines Schlaganfalls im Hause der Bekl. im Zeitraum vom 13.02. bis zum 19.02.2016. Das Landgericht wies die Klage nach Einholung eines neurologischen Sachverständigengutachtens ab. Auch wenn einzelne Behandlungsschritte nach den Ausführungen des Sachverständigen möglicherweise eher hätten durchgeführt werden können, sei hierin dennoch kein Behandlungsfehler zu sehen. Auch hätte ein solcher unterstellter Fehler sich nicht ausgewirkt, weil mit großer Wahrscheinlichkeit eine Vorgehensweise, wie vom Kl. eingefordert, ohne weitere akuttherapeutische Konsequenzen geblieben wäre. Eine Indikation zur systemischen Lysetherapie habe nicht bestanden.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Kl. Zu Unrecht sei das Erstgericht nicht der Frage nachgegangen, ob bei Einhaltung der „regelgerechten“ Handlungsweisen ein Behandlungsvorteil für den Kl. möglich gewesen wäre. Insofern sei ein Zweitgutachten zur Frage möglicher Behandlungsvorteile einzuholen.


Die Entscheidung des Gerichts:


Hierauf ließ sich das Gericht nicht ein, sondern verwies den Kl. darauf, dass er mehr als den sich aus § 630a Abs. 2 BGB folgenden medizinischen Standard nicht zu fordern berechtigt sei:

„Der Kl. muss zunächst einen Behandlungsfehler beweisen. Ein solcher liegt gemäß § 630 a Abs. 2 BGB vor, wenn die Behandlung nicht den bestehenden, allgemein anerkannten fachlichen Standard entspricht (es sei denn, etwas anderes ist vereinbart). Dies bedeutet, dass der Arzt nie den sogenannten ‚Goldstandard‘ schuldet, also dasjenige, was im Rückblick betrachtet die beste Versorgung des Patienten ist, sondern er schuldet dasjenige, was nach allgemein anerkannter fachärztlicher Meinung und nach anerkanntem Stand der Wissenschaft im Normalfall geschuldet ist. Dies bezieht sich sowohl auf die Durchführung der Behandlung als auch - wie hier - auf die gerügte unzureichende Befunderhebung, also die Frage, ob der Arzt überhaupt und wenn ja rechtzeitig die gebotenen Befunde erhoben hat. Erst wenn feststeht, dass der Arzt in der einen oder anderen Weise behandlungsfehlerhaft gehandelt hat, kommt es überhaupt auf die Frage an, ob bei Einhaltung des gebotenen Standards ein für den Patienten besseres Ergebnis erzielt worden wäre, mit anderen Worten die fehlerhafte Behandlung kausal für den eingetretenen Schaden geworden ist. Bei einfachen Befunderhebungsfehlern ist zusätzlich zu beachten, dass ein solcher - unterstellter - Befunderhebungsfehler überhaupt nur zu einer Haftung führen kann, wenn die (rechtzeitige) Erhebung der gebotenen Befunde mit überwiegender, das heißt über 50 %iger Wahrscheinlichkeit einen reaktionspflichtigen Befund ergeben hätte. Es reicht also nicht, dass eine schnellere oder vollständigere Befunderhebung möglicherweise ein besseres Behandlungsergebnis gezeigt hätte.“

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01.12.2022

Informationen

OLG Dresden
Urteil/Beschluss vom 17.03.2021
Aktenzeichen: 4 U 2276/21

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