Prof. Dr. Patrick Gödicke RiOLG, Frankfurt a.M./Karlsruhe

Keine moderaten Substantiierungsanforderungen im PKH-Verfahren? - Und wenn es (nur) um Aufklärungsfehler geht?

Wie vielschichtig das Arzthaftungsrecht beherrscht sein will, um Erfolg zu kommen, wird dem Einsteiger bereits deutlich, wenn er sich dem materiellen Recht zuwendet, das anders als in manch anderem Rechtsgebiet bereits gespickt ist mit Darlegungs- und Beweislastfragen, mit denen Erfolgschancen je nach materiellrechtlicher Einordnung der im Streit stehenden Behandlung geradezu scharnierartig die Chancen vor Gericht steigen und fallen. Dem Kl. kommen dabei seit jeher moderate Substantiierungsanforderungen zugute, die ihn unter Hinweis auf seinen Laienstatus erheblich begünstigen, faktisch weitaus mehr als in manch anderem (z.B. technischen) Bereich. Welcher Mindestvortrag aber ist zu leisten, wenn der Kl. zunächst nur PKH beantragt, das Gericht also gehalten ist, Erfolgschancen zu prüfen, die es angesichts auch seines Laienstatus selten überhaupt angemessen einschätzen kann? Dass es auf außergerichtliche Gutachten zurückgreifen darf, gilt als ausgemacht. Welche Anforderungen darf es dann aber an den Klagevortrag stellen, ohne das Gebot effektiven Rechtsschutzes zu beschneiden?

 

 

 

c)    Und wenn es (nur) um Aufklärungsfehler geht?

 

Das Blatt mag sich freilich wenden, wenn der Kl. statt (nur) eines Behandlungs- auch einen Aufklärungsfehler rügt, denn in diesem Fall steht mit dem Fehlen einer (wirksamen) Einwilligung sogleich die vollständige Haftung des Arztes zur Disposition.

Der Fall:

Die bedürftigen Ast. begehren jeweils unabhängig voneinander Prozesskostenhilfe.

Der Ast. zu 1) wendet sich gegen die Zahlung eines Eigenanteils aus der Behandlung beim Ag. im Zeitraum vom 04.05. bis 27.10.2017, begehrt die Überlassung eines schriftlichen Behandlungsvertrags sowie Einsicht in die Behandlungsunterlagen und macht darüber hinaus "medizinische Fehler" geltend, weil anstelle einer zunächst vorgesehenen Operation drei Operationen erfolgt seien und der Ag. es unterlassen habe, "nach der Operation eine Schutzvorrichtung zu installieren".

Die Ag. zu 2) behauptet, seit einer Zahn-Implantation vom 03.01.2017 an Taubheitsgefühlen und Schwellungen zu leiden, die sie auf einen Behandlungsfehler des Ag. zurückführt. Sie sei des Weiteren vor dieser Operation nicht über die Risiken sowie mögliche Alternativen aufgeklärt worden.

Das Landgericht hat die Anträge zurückgewiesen.

Der Ast. zu 1) könne seine Einwände in einem Parallelverfahren vorbringen, in dem es darum gehe, ob er dem Ag. bzw. Zessionar zur Zahlung verpflichtet sei. Eine nicht arme Partei würde keine zwei Rechtsstreitigkeiten führen.

Der Antrag der Ast. zu 2) habe keine hinreichen Aussicht auf Erfolg, weil der Sachverhalt im Wesentlichen ungeklärt sei. Die vom Ag. vorgelegte Korrespondenz mit dem Haftpflichtversicherer zeige, dass Ansprüche bereits 2018 geprüft, von diesem aber abgelehnt worden seien. Dies habe die Ast. zunächst hingenommen, einen schlüssigen Sachverhalt trage sie im Übrigen nicht vor.

Die Entscheidung des Gerichts:

Hinsichtlich des Ast. zu 1) blieb die Beschwerde erfolglos. Soweit er in seinem „zum Teil nur schwer verständlichen Vorbringen“ Einwände gegen die Honorarforderung aus dem Behandlungsvertrag erhebe und hierfür Prozesskostenhilfe begehre, hätte eine selbständige Klage mangels anderweitiger Rechtshängigkeit keine hinreichende Aussicht auf Erfolg:

„Ein solches Klageziel ließe sich nur im Wege der negativen Feststellungsklage verfolgen. Eine nach der Leistungsklage erhobene negative Feststellungsklage über denselben Anspruch ist aber, weil ihr Streitgegenstand von der Leistungsklage umfasst wird, schon wegen der anderweitigen Rechtshängigkeit nach § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO unzulässig […]. Dass ein Anspruch auf Einsicht in die Behandlungsunterlagen außergerichtlich überhaupt geltend gemacht wurde, trägt der Ast. nicht vor, eine Rechtsverfolgung in einem separaten Prozess hat das Landgericht daher zu Recht als mutwillig bezeichnet.“

Schadensersatzansprüche wegen einer Behandlungspflichtverletzung habe der Ast. aber auch unter Berücksichtigung der im Arzthaftungsprozess für den Patienten abgesenkten Anforderungen an die Darlegung nicht hinreichend substantiiert: „Grundsätzlich muss der Patient, der einen Arzt auf Schadensersatz in Anspruch nimmt, zunächst den nach §§ 823 Abs. 1, 280 Abs. 1 Satz 1 BGB notwendigen Behandlungsfehler darlegen und beweisen. Hierbei sind an seine Substantiierungspflichten lediglich maßvolle Anforderungen zu stellen, weil von ihm angesichts des bestehenden Informationsgefälles zwischen Arzt und Patient regelmäßig keine genaue Kenntnis der medizinischen Vorgänge erwartet und gefordert werden kann  […]. Die Partei darf sich daher auf Vortrag beschränken, der die Vermutung eines fehlerhaften Verhaltens des Arztes aufgrund der Folgen für den Patienten gestattet  […]. Selbst wenn man in Arzthaftungsfällen an die Substantiierungspflicht des Patienten somit nur minimale Anforderungen stellen kann, muss aber doch zumindest eine Beschreibung erfolgen, worin der Behandlungsfehler liegen könnte.“

Da eine Prozesspartei regelmäßig die Prozessaussichten auch unter Berücksichtigung des Kostenrisikos vernünftig abwägen werde und Prozesskostenhilfe nicht dazu dienen solle, aussichtslose Klagen auf Kosten der Allgemeinheit zu führen, genüge es auch im Arzthaftungsprozess nicht, sich im Antrag auf Prozesskostenhilfe darauf zu beschränken, dem Arzt letztlich nur einen negativen Ausgang einer Behandlung vorzuwerfen: „Über den Vorwurf eines negativen Ausgangs geht das Vorbringen des Ast. jedoch nicht hinaus. Der Ast. hat an keiner Stelle einen Behandlungsfehlervorwurf auch nur grob skizziert, sondern sich allein auf die Behauptung beschränkt, sein "körperliches Leiden [bestehe] aus drei Operationen anstelle einer", in seinem Mund "konvergierten nur zwei Zähne" und das Implantat sei "nach Abschluss der Arbeiten jedes Mal beschädigt" worden“.

Die Beschwerde der Ast. zu 2) hatte demgegenüber Erfolg, soweit sie geltend mache, vor der Operation vom 03.01.2017 nicht hinreichend über Risiken und Folgen des Einsatzes eines Implantats aufgeklärt worden zu sein: „Hinreichende Erfolgsaussicht besteht, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt der PKH begehrenden Partei aufgrund ihrer Sachdarstellung und der vorhandenen Unterlagen mindestens für vertretbar hält und von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist  […]. Es muss also aufgrund summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage möglich sein, dass der Ast. mit seinem Begehren durchdringen wird.“

Dies sei hier - noch - der Fall: „Die Ast. zu 2) hat in der Erklärung vom 11.04.2020 bestritten, in irgendeiner Weise vor dem Eingriff von dem Ag. aufgeklärt worden zu sein; sie behauptet darüber hinaus, einen ihr von Mitarbeitern des Ag. vorgelegten Aufklärungsbogen ausdrücklich nicht unterzeichnet zu haben. Der hierfür beweisbelastete Ag. hat sich in seiner Stellungnahme gegenüber dem Landgericht zu einer Grundaufklärung nicht geäußert, ein unterschriebener Bogen liegt nicht vor. Dass sich aus dem von ihm vorgelegten Schriftverkehr der Haftpflichtversicherung mit der Ast. ergibt, dass diese am 19.12.2016 einen solchen Aufklärungsbogen erhalten hat und hierin auch über Nervenverletzungen aufgeklärt wurde, lässt die hinreichende Erfolgsaussicht schon deswegen nicht entfallen, weil eine Aufklärung allein durch einen Bogen nicht genügt, die Aufklärung vielmehr grundsätzlich mündlich zu erfolgen hat (§ 630e Abs. 2 Nr. 1 BGB). Hierüber wird das Landgericht im Hauptsachverfahren ggf. Beweis durch Anhörung der Parteien oder Zeugenvernehmung zu erheben haben. Erweist sich hiernach die Klage als begründet, wäre auf der Grundlage der Beschwerdeschilderung ein Schmerzensgeld in Höhe von bis zu 7500,- € grundsätzlich denkbar. Der Bekl. wäre darüber hinaus verpflichtet, die materiellen Schäden der Kl., d. h. insbesondere die Kosten einer etwa notwendigen Nachbehandlung zu erstatten.“

Dass die Ast. einen Behandlungsfehler ebenso wenig substantiiert habe, wie der Ast. zu 1), stehe einer PKH-Bewilligung daher nicht im Wege.

 

 

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31.08.2021

Informationen

OLG Dresden
Urteil/Beschluss vom 26.11.2020
Aktenzeichen: 4 W 733/20

Fachlich verantwortlich

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