Wohnungseigentumsrecht - Fortdauer der Prozessführungsbefugnis bei Unterlassungs- und Beseitigungsansprüchen

Die Regelung des § 9a Abs. 2 WEG, wonach dem einzelnen Wohnungseigentümer die Prozessführungsbefugnis zur Geltendmachung von Ansprüchen wegen der Beeinträchtigung des Gemeinschaftseigentums fehlt, gilt in Altfällen nicht. Entgegen der fast einhelligen Auffassung (s. etwa LG Frankfurt/M., WuM 2021, 125, Lehmann-Richter/Wobst, WEG-Reform 2020, Rn. 2034; Abramenko, Das neue Wohnungseigentumsrecht, § 9 Rn. 24; Lübke, ZMR 2021, 101; a. A. nur AG Heidelberg v. 5.1.2021-45 C 108/19) erlaubt das Fehlen einer Übergangsvorschrift nicht den Schluss, dass auch in Altprozessen ohne weiteres neues Recht anzuwenden ist, so dass ursprünglich zulässige Klagen einzelner Wohnungseigentümer wegen der Beeinträchtigung von Gemeinschaftseigentum unzulässig werden. Denn dem liegt eine planwidrige Regelungslücke zugrunde. Die Änderungen des Verfahrensrechtes sollen nämlich nach der Begründung zu § 48 Abs. 5 WEG bereits anhängige Verfahren unberührt lassen. Von verfahrensrechtlicher Bedeutung ist aber auch § 9a Abs. 2 WEG, wonach die Ausübungsbefugnis der Rechte aus dem Gemeinschaftseigentum alleine der Wohnungseigentümergemeinschaft zukommt. Zudem hätte der Wegfall der Prozessführungsbefugnis zur Folge, dass selbst über mehrere Jahre geführte Prozesse für beide Parteien nutzlos würden und nur Kosten verursachten. Darüber hinaus spricht das Fehlen jeder Erläuterung zu einem Eingriff dieses Ausmaßes in der Gesetzesbegründung gegen die Annahme, dass der Wegfall der Prozessführungsbefugnis in Altprozessen dem Willen des Gesetzgebers entspricht. Die Anwendung von § 9a Abs. 2 WEG in Altverfahren würde aber unechte Rückwirkung entfalten, was zwar verfassungsrechtlich nicht grundsätzlich unzulässig, aber aus Gründen der Rechtssicherheit besonders zu begründen wäre. Hiergegen lässt sich nicht anführen, dass der Gesetzgeber ausdrücklich das Außerkrafttreten von Vergemeinschaftungsbeschlüssen thematisierte, die vor Inkrafttreten des WEMoG gefasst wurden. Denn daraus ist nicht zwingend zu folgern, dass sich der Gesetzgeber der umgekehrten Folge des Wegfalls der Prozessführungsbefugnis bewusst war. Die somit bestehende Regelungslücke ist nach dem Rechtsgedanken des § 48 Abs. 5 WEG zu schließen, wonach die Prozessführungsbefugnis des einzelnen Wohnungseigentümers zunächst fortbesteht. Eine unbeschränkte Fortgeltung von § 48 Abs. 5 WEG auch für eine Übergangszeit liefe allerdings dem Willen des Gesetzgebers zuwider, da ja mit § 9a Abs. 2 WEG die konzeptionelle Unklarheit bei der Ausübung gemeinschaftsbezogener Rechte beseitigen werden sollte. Daher muss der Wohnungseigentümergemeinschaft das Recht zukommen, bereits anhängige Verfahren als Partei zu übernehmen oder den Streit auf anderen Wege beizulegen. Ein solcher entgegenstehender Wille der Gemeinschaft muss dem Gericht aber zur Kenntnis gebracht werden. Anderenfalls besteht die Prozessführungsbefugnis eines Wohnungseigentümers nach altem Recht fort.

 

Der BGH dürfte mit der Schaffung einer Übergangsvorschrift und zugleich einer Ausnahme hiervon die Rolle des Gesetzgebers übernehmen. Näher hätte es gelegen, einfach von einem schlechten Gesetz auszugehen. Zudem schafft die neue Widerrufsmöglichkeit der Prozessführungsbefugnis durch die Wohnungseigentümergemeinschaft gerade in kleinen Liegenschaften ohne Verwalter neue Probleme, da sie gemäß § 9b Abs. 1 S. 2 WEG von allen Wohnungseigentümern vertreten wird. In der Folge muss der Kläger entweder übergangen werden oder bei der Beseitigung seiner Prozessführungsbefugnis mitwirken, was in der Regel lebensfremd sein wird.

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31.10.2021

Informationen

BGH
Urteil/Beschluss vom 07.05.2021
Aktenzeichen: V ZR 299/19; ZWE 2021, 325

Fachlich verantwortlich

Dr. Dr. Andrik Abramenko RiLG

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