Wohnungseigentumsrecht - II. Der Referentenentwurf eines Gesetzes zur Zulassung virtueller Eigentümerversammlungen etc.

1. Gesetzeszweck

Weit darüber hinaus geht der Referentenentwurf eines Gesetzes zur Zulassung virtueller Eigentümerversammlungen etc., der erstmals vorsieht, Eigentümerversammlungen gänzlich ohne physische Präsenz durchzuführen. Gerade durch die Möglichkeit der Mehrheit, dies zwingend anzuordnen, ergeben sich auch neue Probleme.

 

2. Notwendigkeit der Beschlussfassung

Ähnlich wie § 23 Abs. 1 S. 2 WEG ist die Möglichkeit der Online-Teilnahme auch nach § 23 Abs. 2a WEG-E nicht kraft Gesetzes zulässig, sondern bedarf einer Beschlussfassung. Der Beschluss, der Online-Versammlungen ermöglicht, muss zudem vorab gefasst werden, wie die Formulierung „ab Beschlussfassung“ zeigt. Allerdings kann dieser im Verfahren nach § 44 Abs. 1 S. 2 WEG ersetzt werden, wenn nur die Durchführung der Eigentümerversammlungen ohne physische Präsenz ordnungsmäßiger Verwaltung entspricht.

 

3. Inhalt des Beschlusses

a) Beschlussfassung und ihre Änderung

Die Beschlusskompetenz erfasst die Einführung von Online-Veranstaltungen. Das impliziert auch die Schaffung der hierfür erforderlichen technischen Voraussetzungen. Die Wohnungseigentümer können somit gestützt auf § 23 Abs. 2a WEG-E auch die Anschaffung der erforderlichen Ausrüstung beschließen.

 

b) Sofortvollzug und Vorratsbeschluss

Der geplante Wortlaut der Vorschrift („stattfindet oder stattfinden kann“) gestattet es, sofort und uneingeschränkt auf Online-Versammlungen umzustellen. Sie können aber auch einen bloßen Vorratsbeschluss fassen, der die Vorbereitung und künftige Durchführung von Online-Versammlungen gestattet. In Betracht kommt insbesondere die Ermächtigung des Verwalters, die Voraussetzungen hierfür zu schaffen und anschließend solche Versammlungen durchzuführen. § 23 Abs. 2a WEG-E gestattet es auch, einen einmal gefassten Beschluss abzuändern. So kann beispielsweise beim Auftreten von Schwierigkeiten vom Sofortvollzug abgesehen und auf die bloße Vorbereitung umgestellt werden.

 

c) Verbindliche Anordnung für alle Wohnungseigentümer

Die Teilnahme an der Onlineversammlung kann - anders als nach § 23 Abs. 1 S. 2 WEG - nur für alle Wohnungseigentümer angeordnet werden. Dies geht aus dem Wortlaut („ohne physische Präsenz der Wohnungseigentümer“), aber auch aus ihrem Zweck hervor. Denn es soll ja gerade auf die persönliche Anwesenheit der Wohnungseigentümer verzichtet werden. Macht der Beschluss hiervon Ausnahmen, handelt es sich inhaltlich um die Gestattung einer Teilnahme nach

§ 23 Abs. 1 S. 2 WEG. Diese Unterscheidung ist auch deswegen wichtig, weil dieser Beschluss mit der geringeren Mehrheit nach § 23 Abs. 1 S. 2 WEG gefasst werden kann.

 

d) Online-Teilnahme des Verwalters

Aus diesem Grunde erfasst der Beschluss nach § 23 Abs. 2a WEG-E zwingend auch den Verwalter, dem die Online-Teilnahme nach § 23 Abs. 1 S. 2 WEG noch nicht einmal gestattet werden konnte. Denn nach letztgenannter Vorschrift blieb die Eigentümerversammlung ihrer Rechtsnatur eine Präsenzveranstaltung. Deshalb musste der Verwalter am Versammlngsort physisch anwesend sein. Dieses Erfordernis fällt nach § 23 Abs. 2a WEG-E weg. Folglich kann auch der Verwalter nur online an der Versammlung teilnehmen.

 

e) Erfasste Mitwirkungsrechte

Anders als § 23 Abs. 1 S. 2 WEG gestattet § 23 Abs. 2a WEG-E nicht die partielle Geltendmachung von Rechten. Die Online-Teilnahme muss mit der Möglichkeit einhergehen, sämtliche Rechte auszuüben, die dem Wohnungseigentümer in der Präsenz-Versammlung zukämen. So muss sichergestellt sein, dass eine wechselseitige Möglichkeit der Wahrnehmung aller Wohnungseigentümer und des Versammlungsleiters besteht. Ebenso muss gewährleistet sein, dass etwa Anträge zur Geschäftsordnung vorrangig behandelt werden.

 

4. Mehrheiten

a) Drei Viertel aller abgegebenen Stimmen

Die positive Beschlussfassung über Online-Versammlungen erfordert eine Mehrheit von drei Vierteln der abgegebenen Stimmen. Diese Rückkehr des Gesetzgebers zu qualifizierten Mehrheiten ist insoweit bemerkenswert, als er sie im WEMoG bewusst abgeschafft hatte. Da die Mehrheits gemäß § 23 Abs. 2a WEG-E allerdings nur aus den abgegebenen Stimmen ermittelt wird, ist die Hürde nicht allzu hoch. Bei schlechtem Besuch der betroffenen Eigentümerversammlung kann u. U. eine (kleine) Minderheit, im Extremfall ein Versammlungsteilnehmer, über die Einführung von Online-Versammlungen entscheiden.

 

b) Stimmkraft

Im Gegensatz zu früheren Regelungen qualifizierter Mehrheiten trifft § 23 Abs. 2 a WEG-E keine Regelung zur Stimmkraft. Ohne anderslautende Regelung in der Gemeinschaftsordnung gilt somit das Kopfprinzip des § 25 Abs. 2 S. 1 WEG. Verteilt die Gemeinschaft die Stimmkraft abweichend vom Gesetz (also nach Einheits- oder Wertprinzip), ist diese Regelung auch für die Entscheidung über die Einführung von Online-Versammlungen maßgeblich

 

c) Fehlerhafte Verneinung der tatsächlich zustande gekommenen Mehrheit

Wie stets ist die Beschlussfassung bei qualifizierten Mehrheiten fehlergeneigt. Der Versammlungsleiter kann sich bei ihrer Ermittlung täuschen, indem er etwa auf die Gesamtzahl aller Stimmen abstellt, die Stimmkraft nicht richtig beurteilt oder sich schlicht verzählt. Gleichwohl ist auch dann nach allgemeinen Grundsätzen seine Verkündung des Beschlussergebnisses maßgeblich. Stellt er entgegen der tatsächlichen Abstimmung keine positive Entscheidung über die Einführung von Online-Versammlungen fest, ist diese Beschlussfeststellung also (zunächst) maßgeblich. Sie kann nur durch eine gerichtliche Entscheidung korrigiert werden.

 

d) Fehlerhafte Annahme der tatsächlich nicht zustande gekommenen Mehrheit

Nach den bisherigen Erfahrungen mit qualifizierten Mehrheiten wird der umgekehrte Fehler einer unrichtigen positiven Feststellung eines Beschlusses die Praxis ebenfalls beschäftigen. Auch insoweit kann auf die bisherige Handhabung bei fehlerhaften Beschlussverkündungen im Zusammenhang mit qualifizierten Mehrheiten zurückgegriffen werden. Die Rechtsprechung und Schrifttum zu vereinbarten bzw. in der Teilungserklärung enthaltenen Öffnungsklauseln, die wie § 16 Abs. 4 WEG a. F. einen Beschluss nur mit qualifizierter Mehrheit zustande kommen lassen, geht hier ebenfalls davon aus, dass die Beschlussverkündung maßgeblich ist.[1] Der fehlerhaft verkündete Beschluss ist also vorläufig wirksam, kann aber im Wege der Beschlussklage beseitigt werden.

 

5. Fehler der Beschlussfassung

a) Folgen der Ungültigerklärung ex tunc

Der Beschluss nach § 23 Abs. 2a WEG-E ist wie jeder andere Beschluss im Verfahren nach § 44 Abs. 1 S. 1 WEG auf formelle und inhaltliche Mängel überprüfbar. Allerdings würde seine Ungültigerklärung dramatische Folgen nach sich ziehen, würde man der Grundregel folgen, dass die Ungültigerklärung einen Beschluss ex tunc vernichtet. Dann würde nämlich der Durchführung von Online-Versammlungen die rechtliche Grundlage entzogen, was die Frage aufwerfen würde, ob mit einer „Versammlung“ am Computer überhaupt eine Eigentümerversammlung vorliegt. Dies demonstriert der Vergleich mit dem bisherigen Recht:  Würde man nach geltendem Recht eine solche Eigentümerversammlung unter Ausschluss der Möglichkeit einer physischen Teilnahme durchführen, läge wohl eine Nichtversammlung vor. Dies hätte zur Folge, dass die dort gefassten „Beschlüsse“ nicht nur anfechtbar, sondern als Nichtbeschlüsse anzusehen wären. Damit wären alle aufgrund der Beschlussfassung nach

§ 23 Abs. 2a WEG-E auf Online-Versammlungen gefassten Beschlüsse ohne Wirkung.

 

b) Ungültigkeit ex nunc

Vor diesen dogmatisch folgerichtigen Konsequenzen wird die Praxis wohl zurückschrecken und der Ungültigerklärung nur Wirkung ex nunc beimessen. Immerhin kann man zur Rechtfertigung einer solchermaßen abgemilderten Folge der Ungültigerklärung auf prominente Vorbilder verweisen. Auch bei der Ungültigerklärung der Verwalterbestellung nimmt die ganz h. M. nur die Unwirksamkeit ex nunc an. so dass seine bis zur rechtskräftigen Ungültigerklärung vorgenommenen Handlungen wirksam bleiben. [2] Denn die Folgen einer rückwirkenden Vernichtung der Verwalterbestellung, etwa unwirksame Zustellungen und Zahlungen, unwirksame Zustimmungen nach § 12 WEG etc. wären kaum tragbar. Für den Beschluss nach § 23 Abs. 2a WEG-E gilt dies im vergleichbaren Maße.

 

 

[1] KG NZM 2002, 614; Bärmann/Merle § 23 Rn. 46.

[2] S. etwa BGH NJW 1997, 2107; ZMR 2007, 799; BayObLG NJW-RR 1991, 532; KG NJW-RR 1990, 153 f.; 1991, 274; ZMR 2009, 785.

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04.12.2023

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Dr. Dr. Andrik Abramenko RiLG

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